16.03.2023

Befangenheit von Betriebsratsmitgliedern

Was ist zu tun?

von Mag. Stefan Jöchtl

 

Befangenheit
Regelmäßig ist Befangenheit ein Grund, von der Beteiligung an einer Entscheidung ausgeschlossen zu sein. Auch wenn dies nicht für alle Rechtsgebiete und so auch nicht im Rahmen der gesetzlichen innerbetrieblichen Interessenvertretung ausdrücklich vorgesehen ist, ist es ein Grundsatz der Rechtsordnung, dass niemand in eigener Sache entscheiden darf. Befangenheit des Betriebsratsmitgliedes (und ebenso des Mitgliedes eines Personalvertretungsorgans) liegt aber nicht bereits dann vor, wenn es durch die Entscheidung des Organs, an der es mitwirkt, allgemein beruflich betroffen wäre, denn diesfalls müsste sich fast jedes Mitglied bei jeder allgemeinen Angelegenheit, von der auch sein Arbeitsverhältnis erfasst wäre, enthalten (man denke nur an die Beschlussfassung über eine Gleitzeitregelung oder allgemeine Ordnungsvorschriften im Betrieb), sondern nur bei persönlicher unmittelbarer Betroffenheit, wenn also durch diese persönlichen Umstände eine objektive und sachliche Entscheidung nicht erwartet werden kann. Es müssen sich dabei die Auswirkungen aber nicht unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsmitgliedes beziehen, es ist seine berufliche wie private Interessenlage umfasst.

So liegt Befangenheit selbstverständlich vor, wenn es um eine Beschlussfassung in Bezug auf Verwandte oder enge persönliche Freunde geht oder umgekehrt auch, wenn eine entsprechend ausgeprägte persönliche Abneigung vorliegen würde. Die bloße, allgemein übliche, kollegiale Verbundenheit ist ebenso wie eine normale nachbarschaftliche Beziehung in der Regel kein Grund, eine Befangenheit anzunehmen, eine intensivere private Bindung über gemeinsame Interessen oder regelmäßige Urlaube hingegen sehr wohl. Auch die gemeinsame Mitgliedschaft in lokalen Vereinen oder Organisationen wird nur in Ausnahmefällen, etwa, wenn dort eine engere private oder geschäftliche Verbindung besteht, eine Befangenheit begründen.

Vorgesetzteneigenschaft
Die Eigenschaft als vorgesetzter Arbeitnehmer ist in diesem Sinne auch nicht per se ein Grund zur Befangenheit, diese wird sogar dann nicht vorliegen, wenn eine Beförderung oder Versetzung über Initiative des Vorgesetzten, der Betriebsratsmitglied ist, erfolgen soll, dafür müssten weitere persönliche Elemente hinzutreten. Daher ist es hinsichtlich der Befangenheit unproblematisch, wenn Arbeitnehmer in leitenden Positionen eine Funktion im Betriebsrat ausüben. Die Ausrichtung der persönlichen Entscheidung im Rahmen der Inter essenvertretung unterliegt in diesem Sinne keiner rechtlichen Einschränkung, zumal die Entscheidungen des Betriebsrates ja keiner inhaltlichen Überprüfung auf sachliche Richtigkeit unterliegen.

Wahrnehmung der Befangenheit
Primär wird es am betroffenen Mitglied liegen, eine Befangenheit anzuzeigen. Schließlich wird oft nur dieses die persönliche Betroffenheit kennen und deren Auswirkung einschätzen können. Wenn man aber die Befangenheit als einen Sonderfall der Verhinderung betrachtet, sodass der Vorsitzende ein Ersatzmitglied zur Beschlussfassung heranzuziehen hat, dann muss es diesem auch zustehen, eine offensichtlich gegebene Befangenheit von sich aus wahrzunehmen. Zu beachten ist, dass sich die Befangenheit meist nur auf einen von mehreren Beschlusspunkten im Rahmen einer Sitzung beziehen wird, sodass nur für diesen Punkt ein Ersatzmitglied herangezogen werden darf. Natürlich steht es dem befangenen Mitglied faktisch frei, sich für die gesamte Sitzung (aus anderen Gründen) als verhindert zu erklären, wenn es die Befangenheit bereits aus der Tagesordnung erkennt und es daher vorzieht, an der Sitzung gar nicht teilzunehmen. Wenn sich die Befangenheit erst im Zuge der Sitzung selbst ergibt (etwa, weil die Tagesordnung undeutlich war oder diese mit Zustimmung aller ergänzt wurde), so wird die Beiziehung eines Ersatzmitgliedes oftmals faktisch unmöglich sein. Es wird daher in diesem Fall als zulässig erachtet, wenn sich das befangene Mitglied an Debatte und Abstimmung nicht beteiligt. Man wird dabei aber auch in Betracht ziehen müssen, ob die Beschlussfassung zu einem späteren Zeitpunkt oder in einem Umlaufbeschluss erfolgen kann, dann wäre dem der Vorzug zu geben.

Folgen der Befangenheit
Wird eine an sich vorliegende Befangenheit nicht wahrgenommen und beteiligt sich das an sich von der Beschlussfassung ausgeschlossene Mitglied dennoch an der Entscheidung oder wird trotz rechtzeitiger Anzeige kein Ersatzmitglied geladen, so macht das den Beschluss des Betriebsrates an sich ungültig. In der Praxis hat das aber meist keine Auswirkung, weil die Nichtigkeit des Beschlusses vom Vertrauensschutz der Erklärungsempfänger überlagert wird, sobald der Vorsitzende die Willensbildung des Betriebsrates diesem gegenüber erklärt hat. In der Regel wird der so geschützte Empfänger der Betriebsinhaber sein, der auf die ordnungsgemäße Willensbildung im Betriebsrat vertrauen darf, solange er nicht dessen Fehlerhaftigkeit kannte oder diese offenkundig war. Die dem Betriebsinhaber gegenüber abgegebene Erklärung kann nur vom Betriebsrat selbst und nur dann, wenn sie vom Betriebsinhaber durch Arglist oder Drohung herbeigeführt wurde, angefochten werden. Der Vertrauensschutz erstreckt sich aber auch auf den vom Beschluss betroffenen Arbeitnehmer, sodass auch ein an sich nichtiger Beschluss, mit dem der beabsichtigten Kündigung widersprochen wurde, ab der Erklärung dessen Anfechtungsrecht erweitert.

Die Bekämpfung eines nichtigen Beschlusses mit Feststellungsklage, dass ein gültiger Beschluss aus formalen Gründen nicht vorliegt, steht jedem Betriebsratsmitglied zu, einem Arbeitnehmer hingegen nur dann, wenn dieser daran ein rechtliches Interesse hat, daher nicht, wenn der Vertrauensschutz bereits wirksam geworden ist, da dieser durch die nachfolgende Feststellung der Verletzung der internen Willensbildung des Betriebsrates nicht aufgehoben wird.