15.03.2023

Betriebsrat und Personalvertretung

Dieser in zwei Teilen erscheinende Artikel soll einen historischen Überblick über die rechtlichen Grundlagen verschaffen, welche die gewählten, innerbetrieblichen Interessenvertretungen in Österreich zum Inhalt haben, um zu zeigen, dass hier eine bereits lange Tradition besteht.1

 

von Dr. Martin Holzinger

 

Am 15. Mai 1919 wurde das Betriebsrätegesetz in Österreich verabschiedet und dadurch die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb gestärkt und gesetzlich verankert. Im internationalen Vergleich nahm Österreich damit eine Vorreiterrolle in Sachen betrieblicher Mitbestimmung ein.2 Nur wenige Monate nach der Auflösung der Habsburger-Monarchie und der Ausrufung der „Republik Deutsch-Österreich“ im November 1918 hat die konstituierende Nationalversammlung den „Entwurf
eines Gesetzes betreffend die Errichtung von Betriebsräten“ einstimmig beschlossen. Österreich war damit das erste Land der Welt mit einem derartigen Gesetz.3 Das BRG 1919 umfasste lediglich 16 Paragrafen. Dennoch war es zur damaligen Zeit ein Meilenstein, einzelne Formulierungen des Gesetzes sind auch über 100 Jahre nach dessen Entstehung nach wie vor Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung.

Das BRG 1919 beinhaltete bereits in seinem § 3 jene Generalklausel, welche sich bis heute im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) und im Bundes-Personalvertretungsgesetz (PVG) erhalten hat: Der Betriebsrat und die Personalvertretung ist demnach berufen, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeiter, Angestellten und Bediensteten wahrzunehmen und zu fördern.4 Aufgrund politischer Umbrüche wurden im Jahre 1934 die Freien Gewerkschaften verboten, das Betriebsrätegesetz außer Kraft gesetzt und Betriebsräte wurden durch gesetzlich normierte „Werksgemeinschaften“ ersetzt. Dabei wurden Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter der Leitung des Betriebsinhabers zusammenfasst. Es wurde eine Einheitsgewerkschaft gegründet, deren Funktionäre nicht gewählt, sondern vom Sozialministerium ernannt wurden. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurden auch diese Werksgemeinschaften abgeschafft.5

Mit dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“6 aus dem Jahre 1934 erfolgte in Deutschland eine Wendung in Richtung einer Einschränkung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bereits in § 1 dieses Gesetzes wurde sprachlich die als typisch zu bezeichnende Diktion des nationalsozialistischen Regimes verwendet, wo es heißt: „Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat.“ Statt gewählter Betriebsräte wurden Vertrauensmänner installiert, die als „Vertrauensrat“ unter Leitung der Betriebsführung dieser beratend zur Seite standen. Die Vertrauensmänner mussten das 25. Lebensjahr vollendet haben, mindestens ein Jahr im Betrieb beschäftigt sein und der deutschen Arbeiterfront angehören. Sie hatten in dieser Funktion keine zusätzlichen Rechte und es galten ihnen gegenüber keine besonderen Schutznormen. Die Funktionsperiode der Vertrauensmänner begann jeweils am 1. Mai und endete am 30. April des Folgejahres. Das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmerschaft wurde damit abgeschafft. Entscheidungen über die das Arbeitsverhältnis berührende Fragen wurden dem „Reichstreuhänder der Arbeit“ als staatliche Verwaltungsbehörde übertragen.7

Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen im Jahre 1938 wurde dieses Gesetz auch in Österreich eingeführt. Das Betriebsrätegesetz 1947 entstand nach Ende des nationalsozialistischen Regimes, in dem viele Rechtsnormen, welche demokratische Mitbestimmung verankerten, außer Kraft gesetzt waren. Das neue BRG, das auf dem BRG 1919 aufbaute, war nicht nur umfangreicher als die „Urfassung“ (es beinhaltet in der Stammfassung bereits 29 Paragrafen), sondern es wurden damit die Kompetenzen des Betriebsrates ausgebaut. In den Gesetzesmaterialien wird ausgeführt, dass die österreichische Arbeitnehmerschaft mit Unterstützung der politischen Parteien und des in kürzester Zeit errichteten Österreichischen Gewerkschaftsbundes sofort darangegangen ist, sich eine nach demokratischen Grundsätzen eingerichtete Betriebsvertretung zu schaffen. Es erfolgte nach einer Phase der provisorischen Betriebsvertretungen die Wiedereinführung der nach demokratischen Grundsätzen im Interesse der Arbeitnehmerschaft und der Wirtschaft gebildeten Betriebsvertretungen.8 Anders jedoch als das BRG 1919, welches von einer „revolutionären Sozialisierungsvorstellung“ ausging, sorgte das BRG 1947 durch die Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems für einen Ausbau der Demokratie in der Betriebsverfassung.9 Mit dem BRG 1947, dem Arbeiterkammergesetz 194510 und dem Kollektivvertragsgesetz 194711 wurde das Ziel der Schaffung einer demokratischen Arbeitsverfassung im Gesetzesrang erreicht.12

Im Juli 1974 trat das „Bundesgesetz betreffend die Arbeitsverfassung (Arbeitsverfassungsgesetz – ArbVG)“13 in Kraft und ersetzte das BRG. In diesem einen Gesetz wurden die Inhalte des BRG 1947, des Kollektivvertragsgesetzes 1947, des Bundesgesetzes über die Erlassung von Mindestlohntarifen 1951,14 des Jugendvertrauensrätegesetzes 197115 sowie des Gesetzes über die Errichtung von Einigungsämtern und über kollektive Arbeitsverträge16 zusammengefasst, womit zumindest eine Teilkodifikation des österreichischen Arbeitsrechts erfolgte. Für an Bundes- und Landesdienststellen beschäftigte Bedienstete gab es diesbezüglich keine solche gewählte oder „fix eingesetzte“ Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerschaft. Sowohl das BRG 1919 als auch das BRG 1947 normierten im Geltungsbereich17 den Ausschluss von Behörden, Ämtern und sonstigen Verwaltungsstellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Für diese wurde eine eigene Verordnungsermächtigung geschaffen.18 Demnach sollten auf Basis der Grundsätze des BRG unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse bei Dienststellen von Gebietskörperschaften entsprechende Personalvertretungsvorschriften durch Verordnung der Bundesregierung erlassen werden. Zur Erlassung solcher Bestimmungen kam es jedoch nicht, weil mit Rücksicht auf die im öffentlichen Dienst vorliegenden besonderen Verhältnisse vom BRG abweichende Regelungen nötig gewesen wären und über die Grundsätze dieser Regelungen keine einheitliche Auffassung zu erreichen war. Im Jahre 1952 erfolgte dann die Aufhebung der für die Regelung des Personalvertretungsrechtes im öffentlichen Dienst bestandenen Verordnungsermächtigung durch den VfGH.19

Schon aufgrund des Umstandes, dass Behörden, Ämter und sonstige Verwaltungsstellen vom Geltungsbereich des BRG ausgeschlossen waren, konnte eine völlige Gleichziehung der Vorschriften zwischen der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Dienst nicht erreicht werden, was die Schaffung eines eigenen Gesetzes für die Personalvertretung rechtfertigte.

Im zweiten Teil dieses Beitrages wird die Entstehungsgeschichte des PVG näher dargestellt.

 

1 Auf die Darstellung der einzelnen Landespersonalvertretungsrechte sowie des Post-Betriebsverfassungsgesetz wird hier verzichtet.
2 www.oegb.at/cms/S06/S06_0.a/1342610591855/home/100-jahre-betriebsraetegesetz.
3 Cerny, 100 Jahre Betriebsrätegesetz – Von der Utopie einer neuen Gesellschaft zur Realität der neuen Arbeitswelt, DRdA 4/2019 292.
4 § 38 ArbVG, § 2 Abs 1 PVG.
5 Wall-Strasser/Gotthartsleitner Zur Entstehung des Betriebsrätegesetzes.
6 Deutsches Reichsgesetzblatt 7/1934 vom 23.1.1934.
7 Jabornegg/Resch, ArbVG3 XLV.
8 ErläutRV 320 BlgNR 5. GP 8.
9 Cerny, aaO 294.
10 Wiedererrichtung der Kammern für Arbeiter und Angestellte, BGBl Nr. 95/1945 vom 3.8.1945.
11 BGBl Nr 76/1947 vom 6.5.1947.
12 Cerny in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 Bd 2, 32.
13 BGBl Nr 22/1974.
14 BGBl Nr 156/1951 vom 4.7.1951.
15 BGBl Nr 287/72 vom 28.7.1972.
16 StGBl Nr 16/1920 vom 18.12.1919.
17 § 1 Abs 2 lit a BRG 1947.
18 § 1 Abs 3 BRG 1947.
19 VfGH 20.6.1952, G8/52, ErläutRV 208 BlgNR 11. GP 14.