08.09.2025

Helmpflicht bei E-Bikes?

Der Oberste Gerichtshof hat erstmals eine Entscheidung zur Frage getroffen, welche Konsequenzen es hat, wenn bei einem Unfall mit einem E-Bike kein Helm getragen wurde.1

 

Dieser Beitrag stammt aus dem GÖD-Magazin 6/2025 von Dr. Martin Holzinger

 

In dieser Rechtsrubrik wird wiederholt die Rechtsfrage behandelt, ob es sich bei einem Unfall um einen Dienst- bzw. Arbeitsunfall (im Folgenden: Arbeitsunfall) handelt oder eben nicht. Arbeitsunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen.2 Arbeitsunfälle sind auch Unfälle, die auf einem mit der beruflichen Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte passieren („Wegunfall“).3 Grundsätzlich ist nur der direkte Weg zur oder von der Arbeitsstätte nach § 175 Abs 2 Z 1  ASVG versichert. Das wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen dem Ausgangspunkt und dem Zielpunkt des Arbeitsweges sein, wobei der Versicherte zwischen diesbezüglich im Wesentlichen gleichen Verbindungen frei wählen kann.4 Auf einem längeren Weg („Umweg“) besteht nur dann Versicherungsschutz, wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht (z. B. wegen einer Verkehrssperre) oder nur unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen (z. B. Witterungs-, Straßen- oder Verkehrsverhältnissen) benützt werden konnte. Ein allein oder überwiegend in privatwirtschaftlichem Interesse gewählter Umweg ist nicht versichert.5 

Grundsätzlich kommt es bei der Frage, ob ein Unfall, der sich auf dem direkten Weg von der Wohnstätte zur Arbeitsstätte bzw. auf dem Retourweg ereignet, als Arbeitsunfall anerkannt wird, nicht auf die Wahl des benützten Verkehrsmittels an. In jüngerer Zeit hat sich der OGH jedoch damit auseinandergesetzt, ob die Benützung eines E-Scooters (elektrisch betriebener Roller) oder eines Monowheels (elektrisch betriebenes Einrad) die Anerkennung als Arbeitsunfall ausschließt, was er grundsätzlich bejaht hat (siehe die Artikel des Autors in der Ausgabe 1/2025 bzw. Ausgabe 5/2021). Der OGH hat sich – soweit ersichtlich – bis dato nicht mit der Frage befasst, ob die Benützung eines Fahrrades für die Wegstrecke von der Wohnstätte zur Arbeitsstätte und retour die Anerkennung als Arbeitsunfall ausschließen könnte. Diese Frage wird wohl eindeutig dahingehend zu beantworten sein, dass die Fahrradbenützung die Anerkennung als Arbeitsunfall nicht ausschließt. Der Verkauf von E-Bikes boomt ungebrochen. Nachdem bereits 2023 in Österreich erstmals mehr E-Bikes als nicht-elektrische Fahrräder verkauft wurden, haben die Verkaufszahlen weiter zugelegt. Der Marktanteil von E-Bikes am Gesamtmarkt lag 2024 bei 57 Prozent. Das ist eine nochmalige Steigerung vom Vorjahr um 5 Prozent und ist damit der höchste Wert in Europa.6

In der konkreten Entscheidung des OGH ging es jedoch nicht um die Frage, ob die Benützung eines E-Bikes Einfluss auf die Frage hat, ob es sich bei einem Unfall mit einem E-Bike um einen Arbeitsunfall handeln könnte. Hier wurde die Frage der Mitverschuldensabwägung im Zusammenhang mit dem Nichttragen eines Helmes näher behandelt. Nicht als Kraftfahrzeuge, sondern als Fahrräder im Sinne der Straßenverkehrsordnung gelten gemäß dem Kraftfahrgesetz auch elektrisch angetriebene Fahrräder mit einer Nenndauerleistung von nicht mehr als 250 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h. Einer EU-Verordnung folgend sind unter „Fahrrad mit Antriebssystem“ Räder zu verstehen, die für den Pedalantrieb ausgelegt und mit einem Hilfsantrieb ausgerüstet sind, dessen Hauptzweck die Unterstützung der Pedalfunktion ist, wo die Leistung des Hilfsantriebs beim Erreichen einer Fahrzeuggeschwindigkeit von 25 km/h unterbrochen wird und die über eine maximale Nenndauerleistung oder Nutzleistung ≤ 1.000 Watt verfügen.7

Unfall mit schweren Verletzungen
Zum Sachverhalt: Ein E-Bike-Fahrer fuhr auf einem Radweg mit einer Geschwindigkeit von 20–25 km/h. Ein Autofahrer benützte in unzulässiger Weise die Einfahrt einer Tankstelle als Ausfahrt, hielt jedoch vor dem Radweg. Die Annäherung des Radfahrers sah er zu spät, da seine Sicht durch eine Hecke beeinträchtigt war. Der Radfahrer prallte gegen das Auto und erlitt schwere Kopf- und Gesichtsverletzungen. Daraufhin klagte der Radfahrer den Autofahrer. Er brachte unter anderem vor, dass er nicht „sportlich ambitioniert“ unterwegs gewesen war. Er war auf einem Radweg unterwegs, das E-Bike sei in der konkreten Situation nicht anders zu bewerten als ein „normales“ Fahrrad. Es besteht keine gesetzliche Helmpflicht für Erwachsene. Ihn treffe durch das Nichttragen eines Helmes kein Mitverschulden. Das Erstgericht traf die Feststellung, dass 62 Prozent der Erwachsenen beim E-Bike-Fahren einen Helm tragen, jedoch nur 33 Prozent beim „normalen“ Fahrradfahren, es besteht bei E-Bikern ein allgemeines Bewusstsein zum Tragen eines Helmes. Das Erstgericht rechnete dem Kläger ein Mitverschulden von 20 Prozent zu, obwohl der Unfall vom Autolenker allein verursacht wurde. Das Berufungsgericht hingegen verneinte das Mitverschulden, ein E-Bike sei nicht anders zu behandeln als ein „normales“ Fahrrad. Ein allgemeines Bewusstsein von der Wichtigkeit des Tragens eines Fahrradhelmes lasse sich aus den getroffenen Feststellungen nicht ableiten. 

Der OGH beurteile den Sachverhalt so, dass ein Mitverschulden8 des Klägers vorlag, weil kein Helm getragen wurde. Dieses setzt kein Verschulden im technischen Sinn oder rechtswidriges Handeln voraus. Er verwies auf vergleichbare Judikate. Ein sogenanntes „Helmmitverschulden“ liegt z. B. dann nicht vor, wenn sich ein Unfall auf einem Radweg mit einem „normalen“ Fahrrad und einer Geschwindigkeit von bis zu 20 km/h ereignet.9 Der OGH argumentierte auch mit Entscheidungen zur Motorradschutzkleidung, die ebenfalls gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Ein einsichtiger und vernünftiger Motorradfahrer trägt auch bei einer nur kurzen Überlandfahrt entsprechende Schutzkleidung. Diesbezüglich hat sich ein entsprechendes Bewusstsein des beteiligten Verkehrsteilnehmerkreises gebildet.10 Hingegen wurde bei einem Unfall mit einem elektrisch unterstützten Rollstuhl, wo die körperlich beeinträchtigte Person den Beckengurt nicht verwendete, so entschieden, dass sich hier kein allgemeines Bewusstsein unter Rollstuhlfahrenden über die Verwendung solcher Gurte herausgebildet hat. 

E-Bikes weisen gegenüber konventionellen Fahrrädern durch die Motorverstärkung und wegen des höheren Gewichtes bauliche Abweichungen auf. Diese erfordern einen graduell höheren Sorgfaltsmaßstab, daraus resultiert ein frühzeitiges Bremsverhalten und eine erhöhte Vorsicht bei Berg- und Kurvenabfahrten. Es treten besondere Gefahrenmomente im Vergleich zu Fahrrädern ohne Motor hinzu. Deshalb ist auch die Helmtragequote bei E-Bike-Fahrenden wesentlich höher. Insgesamt ist damit eine Obliegenheit zum Helmtragen für E-Biker zu bejahen, das Nichttragen eines Helmes ist als „Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten“ zu bewerten, womit sich das Mitverschulden ergibt. Im konkreten Fall wirkte sich das auf die Höhe der Schmerzengeldansprüche aus. Die weiteren Ersatzansprüche (z. B. Schadenersatz) wurden jedoch nicht geschmälert. 

Fazit: Um sich diesbezügliche rechtliche Auseinandersetzungen zu ersparen, wird allen E-Bike-Fahrenden empfohlen, bei den Ausfahrten immer einen Helm zu tragen, auch wenn sie damit nur gemütlich „dahin cruisen“11.
 

 

1 OGH 25. 3. 2025, 2 Ob 15/25g.
2 § 175 Abs 1 ASVG, § 90 Abs 1 B-KUVG.
3 § 175 Abs 2 Z 1 ASVG, § 90 Abs 2 Z 1 B-KUVG.
4 RS0084838.
5 OGH 27. 3. 1990 10 ObS 39/90.
6 die-wirtschaft.at/meldungen/verkaufszahlen-oesterreich-ist-e-bike-europameister/
7 Verordnung (EU) Nr. 168/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2013.
8 Mitverschulden iSd § 1304 ABGB.
9 OGH 27. 11. 2020, 2 Ob 8/20w.
10 OGH 12. 10. 2015, 2 Ob 119/15m.
11 dwds.de/wb/cruisen – ohne bestimmtes Ziel (gemächlich) herumfahren oder -gehen (um andere zu sehen und selbst gesehen zu werden)