19.01.2022

Homeoffice und Arbeitsunfall

Kann der bei der Entgegennahme eines Telefongesprächs im Homeoffice erlittene Unfall überhaupt als Dienstunfall gewertet werden? Der OGH hat dazu eine richtungsweisende Entscheidung getroffen.

von Mag. Martin Holzinger, Leitender Zentralsekretär

Gleich vorweg: Der gegenständliche Unfall ereignete sich nicht beim Telefonieren, sondern am Weg zum Telefon. Der betroffene öffentlich Bedienstete verletzte sich, als er auf dem Weg zur Entgegennahme eines dienstlichen Telefonats die Innentreppe in seinem Haus benutzte. Strittig war, ob hier ein Dienstunfall vorlag. Bisher war die Judikatur sehr restriktiv, was Unfälle im Homeoffice betraf. Ein unfallversicherungsgeschützter Arbeitsweg war begrifflich ausgeschlossen, wenn Wohnzweck und Arbeitsstätte in derselben Wohnung bestanden, da innerhalb des Wohnhauses die versicherte Person nicht den typischen Gefahren eines Arbeitsweges ausgesetzt ist, dessen Risiko die Unfallversicherung abdecken soll. Da im Homeoffice die Räume oft privat und beruflich („gemischt“) genutzt werden, wurde der UV-Schutz erst dann zuerkannt, wenn der rein persönliche Bereich verlassen und ein im wesentlichen Umfang beruflichen Zwecken dienender Gebäudeteil betreten wurde. Mittlerweile wird in Deutschland auf die „objektivierte Handlungstendenz“ abgestellt, also ob der Verunfallte eine dem Arbeitgeber dienende Tätigkeit in den eigenen vier Wänden ausüben wollte. Der Gesetzgeber hat dem durch die Corona-Pandemie wohl als „Boom“ zu bezeichnenden Aufschwung der „Arbeitserbringung außerhalb des üblichen Arbeitsplatzes“ Rechnung getragen, indem er mit dem Bundesgesetz BGBl I 2021/61 in § 175 Abs 1 ASVG einen Absatz 1a einfügte, der wie folgt lautet: „Arbeitsunfälle sind auch Unfälle, die sich im zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung in der Wohnung (Homeoffice) ereignen.“ Eine praktisch wortgleich lautende Bestimmung wurde für öffentlich-rechtliche Bedienstete im B-KUVG2 geschaffen. Im AVRAG3 wurde in der gleichen Novelle darüber hinaus eine eigene Rechtsnorm mit der Überschrift „Homeoffice“ eingeführt, deren Absatz 1 festlegt, dass Arbeit im Homeoffice dann vorliegt, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer regelmäßig Arbeitsleistungen in der Wohnung erbringt. Nach der Unfallstatistik ereignen sich die meisten Unfälle im häuslichen Bereich. Bei Homeoffice sind dies überwiegend Unfälle, die durch einen Sturz über Treppen oder durch auf dem Boden liegende Gegenstände ausgelöst werden.

Historisch gesehen wurde aufgrund des Drängens der Arbeiterschaft vor über 130 Jahren der gesetzliche Arbeiter-Unfallversicherungsschutz eingeführt, welcher den Zweck verfolgte, die Arbeiterschaft vor den finanziellen Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit zu schützen.4 Die Grundidee der Unfallversicherung besteht darin, die Beschäftigten vor den Risken des Arbeitsplatzes zu schützen. Bereits vor über hundert Jahren wurde der Schutzbereich auf Wegunfälle ausgedehnt. Auch wenn der Weg von der Wohn- zur Arbeitsstätte nicht vom Arbeitgeber beherrschbar ist, so werden solche Wege von den Beschäftigten mit der Absicht zurückgelegt, der Erwerbstätigkeit nachzukommen. Die Absicht, aus welchem Grund ein Weg zurückgelegt wird, ist dafür entscheidend, ob es sich um einen versicherten Weg handelt.5

Arbeitsunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Aber nicht jeder Unfall, der sich während der Arbeitszeit ereignet, wird schon „automatisch“ als Arbeitsunfall anerkannt. Um den Schutzbereich der Unfallversicherung zu erfüllen, muss geprüft werden, ob überhaupt ein Unfall vorliegt. Der Begriff „Unfall“ ist gesetzlich nicht definiert. Von einem Unfall im Sinne der Unfallversicherung spricht man dann, wenn eine Einwirkung von außen, eine außergewöhnliche Belastung vorliegt, also ein Ereignis eintritt, welches einerseits zeitlich begrenzt ist und andererseits zu einer Körperschädigung geführt hat. Am Unfalltag befand sich der Bedienstete im Arbeitszimmer im ersten Stock seines Wohnhauses. Als es an der Haustür läutete, begab er sich ins Erdgeschoß und öffnete die Tür. In diesem Moment klingelte sein Diensthandy, welches sich in seinem Büro im ersten Stock befand. Er lief die Treppe hinauf, um das Gespräch entgegenzunehmen. Auf der obersten Stufe trat er mit dem linken Fuß ins Leere und verletzte sich dabei. Der Bedienstete machte die Verletzung bei der BVAEB als Dienstunfall geltend. Die Versicherungsanstalt ordnete jedoch den Unfall dem privaten Bereich zu, weil er sich im überwiegend privat genutzten Teil des Gebäudes ereignet habe. Mit dieser Begründung lehnten sie die Anerkennung als Dienstunfall mit Bescheid ab.

Gegen den negativen Bescheid brachte der Betroffene eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht ein. Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht folgten der Meinung der Versicherungsanstalt. Innerhalb einer Wohnung könne kein Arbeitsweg im Sinn der einschlägigen unfallversicherungsrechtlichen Bestimmungen6 zurückgelegt werden. Wege innerhalb der Wohnung im Zusammenhang mit der Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse seien auch nicht geschützt. Der Unfall ereignete sich auf einer nur selten zu betrieblichen Zwecken benutzten Treppe. Das Oberlandesgericht hat jedoch das Rechtsmittel der Revision an den OGH zugelassen, weil eine Klarstellung zur Frage geboten erschien, welche die Benutzung eines „gemischt genutzten Raumes“ betrifft, also eines Raumes, der sowohl privat als auch beruflich genutzt wird. Überdies stieß die eher als streng zu bezeichnende höchstgerichtliche Rechtsprechung über die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz auf Wegen im eigenen Wohnbereich in der Lehre auf Kritik. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass das deutsche Bundessozialgericht seine einschlägige Rechtsprechung mittlerweile geändert habe. Das OLG hatte also erkannt, dass hier eine Richtungsänderung in der Rechtsprechung des OGH nicht ausgeschlossen werden kann. Der OGH traf in seiner Entscheidung zunächst mehr oder weniger genaue Feststellungen über die Zimmereinteilung des Hauses. Demnach befand sich das Arbeitszimmer im ersten Stock, das Wohnzimmer und die Küche im Erdgeschoß. Der OGH traf sogar Feststellungen, wonach der Bedienstete, wenn er während des Aufenthaltes im Arbeitszimmer Durst verspürte, nicht in die Küche im Erdgeschoß ging, sondern in das im selben Stock befindliche Bad, wo er ein Glas Wasser zu sich nehmen konnte. Wenn sich in einem Haus neben nur dem betrieblichen Bereich und nur dem persönlichen Bereich zuzuordnenden Räumen auch „gemischt genutzte“ Räume befinden, beginnt nach der bisherigen Rechtsprechung der Unfallversicherungsschutz erst dann, wenn der rein persönliche Bereich verlassen und ein in wesentlichem Umfang betrieblichen oder beruflichen Zwecken dienender Teil des Wohngebäudes betreten wird.

Gemischt genützte Räume im Inneren des Gebäudes (wie Treppen) zählten nur dann zu Betriebsräumlichkeiten, wenn sie im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke genutzt werden. Das wäre etwa dann der Fall, wenn sich im obersten Stockwerk eines Wohnhauses das Arbeitszimmer befindet und daher die Treppe in dieses Stockwerk praktisch ausschließlich zur Erreichung dieses Zimmers dient. In Deutschland lehnt die neuere Rechtsprechung die frühere Anknüpfung an die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts zu beruflichen Zwecken mittlerweile ab und stellt auch innerhalb der häuslichen Sphäre darauf ab, ob eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausgeübt werden sollte. Dies ist durch die Feststellung der objektiven Umstände des Einzelfalls zu klären. Der OGH führte in dieser Entscheidung aus, dass angesichts der kritischen Stellungnahmen in der Literatur, der neueren deutschen Rechtsprechung und der zunehmenden Bedeutung von Homeoffice auf das Abstellen auf ein Überwiegen der betrieblichen Nutzung des konkreten Unfallorts, wie sie in der bisherigen OGH-Rechtsprechung überwiegend vertreten wurde, nicht aufrecht zu erhalten ist. Entscheidendes Kriterium ist vielmehr, ob die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten ausschließlich in Richtung einer dienstlichen Tätigkeit gerichtet ist. Ein Dienstunfall kann sich somit auch in einem vorwiegend privat genutzten Raum ereignen. Die Abgrenzung im Einzelfall ist jedoch schwieriger zu ziehen als bei Räumen, die vorwiegend für die versicherte Tätigkeit genutzt werden.7

Im vorliegenden Fall plante der Kläger, eine geschützte dienstliche Tätigkeit (Entgegennahme eines dienstlichen Telefonats) im Arbeitszimmer auszuführen. Die Zurücklegung des Weges über eine nicht überwiegend zu betrieblichen Zwecken benutzte Innentreppe des Wohngebäudes diente in diesem Fall keinem privatwirtschaftlichen Zweck wie beispielsweise eine Bewegung im Zusammenhang mit einer Mittags- oder Kaffeepause. Sie war ausschließlich von der objektivierten Handlungstendenz in Richtung einer dienstlichen Tätigkeit getragen. Aus diesem Grund bejahte der OGH den Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis. Somit wurde der Unfall als Dienstunfall anerkannt.

 

1  OGH 10 Ob S 15/21k vom 27.4.2021.
2  § 90 Abs 1a B-KUVG.
3  AVRAG – Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz.
4  Reichsgesetzblatt 1888/1.
5  Felten/Trost (Hrsg), Homeoffice, 344.
6  § 90 Abs 2 Z 1 B-KUVG, § 175 Abs 2 Z 1 ASVG
7  Bartmann/Ondrejka, ZAS 2020/2

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