14.02.2023

Kontrolle braucht Kontrolle

Wann bedürfen technische Systeme der Zustimmung des Betriebsrates? Die Intensität der Kontrollmöglichkeit ist entscheidend.

von Mag. Stefan Jöchtl

 

Zustimmungspflichtige Kontrollmaßnahmen
Dem Arbeitgeber ist es untersagt, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates1 Kontrollmaßnahmen sowie technische Systeme zur Kontrolle der Arbeitnehmer in Betrieb zu nehmen, sofern diese Maßnahmen (Systeme) die Menschenwürde berühren2.
Zwar sind punktuelle Ad-hoc-Kontrollen3 im Einzelfall (z.B. bei unmittelbarem Diebstahlsverdacht) nicht zustimmungspflichtig, aber auch die aus einem Anlass heraus getroffene, kurzfristige Kontrollmaßnahme (wie die Installation einer Kamera oder das Scannen aller Mails nach bestimmten Inhalten), die in genereller Form erfolgt, bedarf der Zustimmung des Betriebsrates, ebenso unregelmäßige, aber generell stattfindende Stichproben ohne besonderen Anlass. Auch wenn der Wortlaut der Bestimmung in diese Richtung deuten mag, ist es nicht erforderlich, dass technische Systeme primär der Kontrolle dienen, damit diese der Zustimmung des Betriebsrates bedürfen. Vielmehr muss jedes technische System im Betrieb darauf überprüft werden, ob es objektiv geeignet ist, die Arbeitnehmer zu kontrollieren. Das ergibt sich aus den konkreten (softwaremäßigen) Anwendungsmöglichkeiten des Systems. Es ist daher nicht die beabsichtigte Verwendung relevant, ausschlaggebend ist vielmehr, ob aufgrund der konkreten organisatorischen und technischen Vorkehrungen die Kontrollmaßnahme jederzeit eingesetzt werden kann. Ein Anhaltspunkt für den Betriebsrat ist dabei, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, ihm mitzuteilen, welche Arten von personenbezogenen Arbeitnehmerdaten er automationsunterstützt aufzeichnet4.

Berühren der Menschenwürde als Voraussetzung der Zustimmungspflicht
Nicht jede Kontrollmaßnahme ist aber von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig, sondern nur solche, die die Menschenwürde berühren5. Das ist dann der Fall, wenn die Privatsphäre der ArbeitnehmerIn kontrolliert wird oder die Kontrolle der Arbeitsleistung und des arbeitsbezogenen Verhaltens in übersteigerter Intensität organisiert wird und jenes Maß überschreitet, das für Arbeitsverhältnisse dieser Art typisch und geboten ist, so insbesonders auch dann, wenn die Kontrolle unmerklich erfolgt und dadurch das Gefühl einer weitgehenden Überwachung entsteht.

Typische Maßnahmen und Systeme
Typische derartige Systeme, die je nach Intensität zustimmungspflichtig sein können, sind Kameraüberwachungssysteme, Zugangskontrollen, Sicherheitskontrollen, aber auch generell alle betrieblichen Systeme, bei denen sich durch die Auswertung der Nutzung eine intensive Kontrollmöglichkeit ergibt. So wird aber mangels Intensität durch die bloße Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit die Menschenwürde nicht berührt, sofern das System nicht ein arbeitnehmerbezogenes Bewegungsprofil während des ganzen Arbeitstages erlaubt6. Ebenso sind Kamera- und Zugangskontrollen nicht jedenfalls zustimmungspflichtig, sondern nur bei entsprechender Ausgestaltung (Anzahl, Lage, erfasster Bereich).

Zustimmung mittels Betriebsvereinbarung
Die Zustimmung kann der Betriebsrat7 wirksam nur durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erteilen. Sofern ein Betriebsrat besteht, sind daher individuelle Zustimmungen einzelner ArbeitnehmerInnen unbeachtlich und unwirksam. Ebenso wäre auch eine Regelung mit Kollektivvertrag nicht wirksam, da diese Kompetenz vom Gesetzgeber ausschließlich dem Betriebsrat zugeordnet ist.

Uneingeschränktes Vetorecht
Da die Zustimmung des Betriebsrates zur Einführung solcher Kontrollmaßnahmen also unbedingt erforderlich ist und vom Arbeitgeber in dieser Materie rechtlich nicht erzwungen werden kann, kommt dem Betriebsrat ein formal uneingeschränktes Zustimmungsrecht zu, das sich, zumal es sich hier meist um Systeme handelt, die der Arbeitgeber einführen möchte, praktisch als Vetorecht der Belegschaft darstellt. Auch wenn dieses absolut ausgestaltet ist, sind Bedenken dahingehend, dass der Betriebsrat so auch betriebstechnisch unbedingt notwendige Systeme verhindern könnte, in der Praxis nicht berechtigt, da es meist um die konkrete Ausgestaltung im Sinne der Minimierung der Kontrolldichte auf das unbedingt erforderliche Ausmaß geht. Freilich kann der Betriebsrat die faktische Einführung eines mangels Zustimmung unzulässigen technischen Systems nicht verhindern, diesfalls ist er darauf angewiesen, die Rücknahme der Maßnahme gerichtlich durchzusetzen, wozu ihm auch das Instrument einer einstweiligen Verfügung offensteht.

Kündigungsmöglichkeit
Betriebsvereinbarungen, mit denen Kontrollmöglichkeiten zugelassen werden, können jederzeit ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden8. Arbeitgeber und Betriebsrat können die Betriebsvereinbarung aber auch befristet (also mit einer fixen Geltungsdauer, in der Praxis häufig mit einer automatischen Verlängerung bei Stillschweigen) abschließen oder auch eine Kündigungsregel (also mit welcher Frist und zu welchem Termin gekündigt werden kann) ausdrücklich vereinbaren. In allen Fällen aber endet mit Ablauf der Geltung der Betriebsvereinbarung ihre Wirkung und damit die Erlaubnis der Maßnahme.

 

1 In Betrieben ohne Betriebsrat ist die Zustimmung jedes einzelnen betroffenen Arbeitnehmers erforderlich.
2 § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG
3 Auch diese aber dürfen natürlich nur in zumutbarer Weise erfolgen und in den privaten Besitz (Tasche etc) darf nur mit Zustimmung der ArbeitnehmerIn eingesehen werden.
4 § 91 Abs 2 ArbVG
5 Kontrollmaßnahmen, die die Menschenwürde verletzen, sind natürlich jedenfalls unzulässig, daher kann solchen der Betriebsrat wirksam nicht zustimmen.
6 Was je nach Ausgestaltung auch bei der Nutzung der betrieblichen Internetverbindung und des betrieblichen Mailsystems der Fall sein kann.
7 Bei Bestehen eines Betriebsausschusses dieser, wenn die Maßnahme beide Gruppen betrifft.
8 § 96 Abs 2 ArbVG